
© Wolfgang Detemple
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Nikolai Sperling ist ein Pionier beim Haushalts- und Gewerbegerätehersteller Miele, und was für einer! Der heute 38-Jährige hat in zwei Jahren gleichzeitig seinen Vollzeitjob absolviert, eine interne Schulung durchlaufen und per Teilqualifizierung seinen Berufsabschluss nachgeholt – mit einer glatten Eins auf dem Zeugnis. Möglich wurde das durch seinen starken Willen und die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen seinem Unternehmen, der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) vor Ort.
Aber von vorn: Als Nikolai Sperling Anfang 2021 zum Miele-Werk Arnsberg stieß, konnte er zwar keinen Berufsabschluss vorweisen, aber so viel Know-how und praktische Erfahrung, dass er in der Stanzerei als Maschineneinrichter eingestellt wurde. "Ein Job, für den Miele in der Regel eine Ausbildung voraussetzt", betont Madlen Ehrentraut, in Arnsberg als Produktionsleiterin für Dunstabzugshauben zuständig. "Doch Nikolai hat uns überzeugt."
Als dann ein Assessment-Center für Teamleitungen ausgeschrieben wurde, schaffte es Nikolai Sperling erneut glücklich ins Auswahlverfahren: "Er bewarb sich und schnitt super ab", erzählt Ehrentraut, "dabei wäre eigentlich auch hier ein Berufsabschluss erforderlich gewesen, das ist bei uns Voraussetzung für Führungspositionen."
Da traf es sich gut, dass Bernd Wieneke, Teamleiter Qualifizierungsberatung bei der IHK Arnsberg Hellweg – Sauerland, kurz zuvor im Haus die Vorzüge von Teilqualifikationen (TQs) vorgestellt hatte. Ehrentraut fand das Instrument sehr interessant. Sie vereinbarte mit dem Betriebsrat, dass Nikolai Sperling per Sondervereinbarung die interne Teamleiter-Schulung durchlaufen durfte – unter dem Vorbehalt, dass er parallel auf seinen IHK-Abschluss zum Maschinen- und Anlagenführer hinarbeiten und diesen auch bestehen würde.
Dann ging alles ganz schnell. Der angehende Teilzeit-Azubi selbst war direkt überzeugt. "Er brachte ganz viel intrinsische Motivation mit", lobt Produktionsleiterin Ehrentraut. Als Vater zweier Kinder und Hausbesitzer habe er schon länger den Wunsch gehabt, eine Ausbildung nachzuholen. Auch die Personalabteilung sei Feuer und Flamme gewesen, und in der Dreierkonstellation Miele, IHK und BA wurden die beiden für Nikolai Sperling noch relevanten TQ 3 und 4 – Qualitätskontrolle und Instandhaltung – umgesetzt. Die TQ 1 und 2 waren durch die Berufserfahrung bereits abgedeckt. Die BA finanzierte die Schulung über Bildungsgutscheine und vergütete Miele die Ausfallzeiten im Betrieb. Denn einmal pro Woche, gegen Ende der Maßnahme etwas häufiger, besuchte Nikolai Sperling gemeinsam mit weiteren TQ-Teilnehmern den Unterricht.
"Alles lief reibungslos", sagt Ehrentraut. "Nikolai war ein Selbstläufer." Dabei nahm dieser parallel zur TQ und zur internen Teamleiter-Schulung auch noch – ebenfalls auf Basis einer Sondervereinbarung – die stellvertretende Teamleitung in der Logistik-Abteilung wahr, also einer fachfremden Umgebung. Doch er meisterte die Mehrfachbelastung mit Bravour und absolvierte die IHK-Prüfung zum Maschinen- und Anlagenführer im Januar 2025 mit der Note "Sehr gut".
Bernd Wieneke von der IHK Arnsberg Hellweg-Sauerland wundert das nicht: "TQs bereiten die Kandidatinnen und Kandidaten gut vor und bringen tolle Ergebnisse", so die Erfahrung des IHK-Qualifizierungsexperten. "Die Absolventen schneiden sehr häufig besser ab als die 'normalen' Azubis aus der Erstausbildung." Denn: "Die haben ganz viel Berufserfahrung und sind extrem motiviert." Teilweise stünden sie auch im Wettstreit mit den eigenen Kindern, wenn sich diese parallel in der Ausbildung befänden, fügt er schmunzelnd hinzu.
Dafür, dass laut Wieneke in der Region Hellweg-Sauerland jeder vierte Absolvent einer Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer aus der TQ kommt, gibt es aber noch weitere Gründe. So arbeiten hier IHK und BA besonders eng und fruchtbar zusammen, was auch durch den identischen Regionalzuschnitt beider Organisationen erleichtert wird. Unter anderem kooperieren sie gemeinsam mit weiteren Partnern auf der Plattform "Qualifizierung hier", die Arbeitgebern einen Überblick über Qualifizierungs-Optionen bietet – von der Anpassungsweiterbildung bis zur Umschulung.
Um Interessenten die optimale Lösung zu verschaffen, setze die Arbeitsgemeinschaft auf kurze Wege, erklärt IHK-Experte Wieneke – und die führen häufig in die TQ. Schließlich gibt es in der Region zahlreiche Automobilzulieferer, und gerade für Unternehmen im Umbruch ist die Teilqualifikation ein attraktives Instrument: "Wir haben viele Betriebe, die keine Azubis finden, aber motivierte und zuverlässige angelernte Mitarbeiter haben", berichtete Wieneke. "Wenn die vor der Wahl stehen, ob sie ihre Leute in Kurzarbeit schicken oder praktisch kostenneutral so qualifizieren, dass sie auch wirklich umfassend einsetzbar sind, müssen die nicht lange überlegen." Und die Zielgruppe passe, denn TQs richteten sich auch an eher ältere Arbeitnehmer: "Die haben oft kein Interesse an Sport- oder Religionsunterricht", erklärt Wieneke, warum eine Qualifizierung außerhalb der Berufsschule bei ihnen besser ankommt.
Die zielgruppenspezifischen Vorteile der TQ sieht auch Michael Haake, Teamleiter Arbeitgeberservice Hochsauerlandkreis bei der BA: "Mancher möchte nicht mit 17-, 18-Jährigen in einer Schulbank sitzen", gibt er zu bedenken. Und für den Betrieb sei die TQ "ein wunderbar flexibles Instrument – es erlaubt beispielsweise saisonal passenden Einsatz, es ist schnell und richtet sich an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens aus". Haakes Erfahrung zufolge fällt es vielen Betrieben zunächst schwer, diesen Weg zu beschreiten, "aber wenn sie einmal dabei sind, kommen sie immer wieder", berichtet er. "Es ist nicht so kompliziert, wie man glaubt, und wir sind sehr unbürokratisch."
Die Herausforderung besteht laut IHK-TQ-Fachmann Wieneke vor allem in dem Zeitpunkt, zu denen man die Unternehmen abholt. "Es muss ein Bedarf da sein", betont er. Im Fall Nikolai Sperling hat es ganz offenbar perfekt gepasst. Und Madlen Ehrentraut bestätigt Haakes Erfahrung: Sie arbeitet bereits mit einem zweiten TQ-Kandidaten und bewirbt das Instrument auch an den anderen Miele-Standorten. Denn: "Nicht jeder Lebensweg ist gerade. Manchmal gibt es in der Jugend Umstände, die einen Abschluss verhindern." TQs böten in solchen Fällen "die Möglichkeit einer zweiten Chance, das ist so toll an diesem Instrument"!