Fachkräftesicherung in der Fahrradbranche – Neue Teilqualifizierung FahrradmonteurIn
Wissen Sie, wie viele Fahrräder es im Jahr 2023 in Deutschland gab? Ganze 84 Millionen Fahrräder![1] Das heißt, dass theoretisch jeder Mensch in Deutschland ein Fahrrad besitzt.
Seit 2005 hat sich die Anzahl der Fahrräder in Deutschland um 17 Millionen erhöht, wobei der größte Anstieg im Jahr 2020 verzeichnet wurde.[2] Seitdem setzt sich dieser Trend fort, da das Radfahren nicht nur umweltschonend, sondern auch gesundheitsfördernd ist. Besonders in Städten erfreut sich Radfahren als Alternative zum Autoverkehr wachsender Beliebtheit und es entstehen immer mehr Fahrradstraßen. Der Klimawandel hat das Bewusstsein für nachhaltige Mobilität verstärkt und das Fahrrad spielt dabei eine entscheidende Rolle. Durch den Verzicht auf motorisierte Fahrzeuge reduzieren Radfahrer nicht nur ihre eigene CO2-Bilanz, sondern tragen auch zur Verringerung der Umweltbelastung bei.
Eine wichtige Berufsgruppe rund ums Fahrrad ist der bzw. die FahrradmonteurIn. Sie verkaufen, bauen, reparieren oder modernisieren alle Arten von Rädern. Bei Anbetracht der enormen Räder ein Beruf mit Zukunftsperspektive. Dennoch fehlen auf dem Markt rund 15.000 FahrradmonteurInnen, auch hier macht der Fachkräftemangel nicht halt.
Gemeinsam mit dem Projekt ETAPP und dem BBB (Bundesverband der Träger der beruflicher Bildung) sowie auf Grundlage der Arbeit von FachexpertInnen hat das Projekt Chancen Nutzen! den Ausbildungsberuf FahrradmonteurIn als Teilqualifizierung (TQ) abgeleitet. Als Instrument der Nachqualifizierung richten sich TQs an Menschen in einem Alter von über 25 Jahren, die zwar bereits über berufsbezogene Kompetenzen, jedoch zumeist nicht über einen verwertbaren Berufsabschluss verfügen. TQs bieten die Möglichkeit, individuell identifizierte Lücken in Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten an- und ungelernter Erwachsener durch Inhalte eines Ausbildungsberufes zielgerichtet zu schließen.
Wir haben mit Stephan Fuchs, Mitglied der Geschäftsleitung der VSF Service GmbH, gesprochen, um mehr über den Fachkräftemangel in der Fahrradbranche und das Potential des neuen abgeleiteten TQ-Berufs FahrradmonteurIn zu erfahren.
Herr Fuchs, wie entwickelt sich die Fahrradbranche? Wächst sie und wächst der Bedarf nach Fachkräften?
Die Fahrradwirtschaft ist in den zurückliegenden Jahren ebenso beständig wie kräftig gewachsen. Und alle Indikatoren weisen drauf hin, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen wird. Das Wachstum zeigt sich sehr deutlich an der Zahl der in der Fahrradwirtschaft tätigen Personen: Im Jahre 2022 waren in den drei Kernsektoren der Fahrradwirtschaft Herstellung, Handel und Dienstleistungen (insbesondere Leasing) rund 63.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbstständig tätig. Im Jahr 2019 lag diese Zahl bei 48.200 Personen. Der Zuwachs von 30 % belegt die Dynamik der Branche. Besonders deutlich stark war der Zuwachs im Sektor Dienstleistungen (plus 90 %); weniger stark im Handel (plus 31,4 %) und in der Herstellung (16,5 %). Der Gesamtumsatz, den die 63.000 Menschen erwirtschaftet haben, stieg in diesem Zeitraum um 69 Prozent (!) und lag 2022 bei rund 28 Milliarden Euro.
E-Bikes, Cargobikes, innovative Dienstleistungen und neue Vertriebsformen entwickeln und befeuern den Markt. Noch deutlich zeigt sich diese Erfolgsgeschichte, wenn der mit dem Fahrrad verbundene Tourismus mit in die Betrachtung genommen wird: Mehrtägige Radtouren, Fahrradrennen und Freizeitradeln sind beliebte Aktivitäten, die wirtschaftliche Chancen bieten. Im Jahr 2022 wurden im Fahrradtourismus 16,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet und 263.000 Mitarbeitende beschäftigt.
Wie herausfordernd ist es passende Fachkräfte zu finden?
Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist längst spürbar und hat das Potential, das Wachstum der Branche einzubremsen. In allen Sektoren fehlt gut ausgebildetes Personal – schon heute. Und das Wachstum der Branche erhöht den Druck weiter. Dieses Bild ergab auch eine Umfrage, die der VSF (Verbund Service und Fahrrad) zusammen mit der BIKE&CO unter den Mitgliedern beider Verbände durchgeführt hat: Demnach waren 2022 allein im Handel rund 18.000 Stellen in Deutschland unbesetzt. Viele Fachhandelsbetriebe suchen deshalb verstärkt nach Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern, die „on the Job“ qualifiziert werden. Händlerinnen und Händler sind aber keine Weiterbildnerinnen und Weiterbildner und sollten das auch nicht sein. Gleichzeitig ist die umfassende Qualifizierung der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger unabdingbar. Gerade in arbeitsteilig aufgestellten Betrieben können diese sehr schnell eine spürbare Entlastung bringen und zur Verkehrswende beitragen.
Wo sehen Sie Chancen durch die Teilqualifizierung FahrradmonteurIn?
Im Jahr 2020 sind in ganz Deutschland 249 Ausbildungsverträge zum Fahrradmonteur und 750 zum Zweiradmechatroniker Fachrichtung Fahrradtechnik unterschrieben worden. Zur Einordung: Die Gesamtzahl der neuen Ausbildungsverträge lag in diesem Jahr bei 465.672; darunter 7.791 Personen angehende Tischler bzw. Tischlerinnen. Teilqualifizierungen geben uns ein wirkungsvolles Instrument an die Hand, die Menschen bei ihrer Leidenschaft für das Fahrrad abzuholen und für die hoch attraktive Fahrradbranche zu gewinnen. Ganz besonders wichtig ist aus Sicht des VSF der Grundgedanke einer modularen Qualifizierung. „Von der Stange“ war gestern. Wir müssen individuelle und praxisorientierte Angebote machen, die bestehende Kenntnisse und Fähigkeiten ebenso berücksichtigen, wie fehlende sprachliche oder digitale Kenntnisse. Das Berufsbild des Monteurs eignet sich hervorragend für das TQ-Modell. Der Monteur wird in Handel und Industrie (weiterhin) gesucht, der Durchstieg zum Mechatroniker Fachrichtung Fahrradtechnik ist grundsätzlich möglich, geflüchtete Menschen und auch Personen mit a-typischen Ausbildungs- und Erwerbsbiografien können mit guten Aussichten auf Erfolg am Arbeitsmarkt qualifiziert werden – Modul für Modul, entsprechend ihrem persönlichen Wunsch und den Bedarfen des Betriebes.
Zum VSF | Verbund Service und Fahrrad e. V.:
Der VSF ist ein unabhängiger Fachverband der Fahrradbranche, der mehr als 360 Fachhändler, Hersteller und Dienstleister vertritt. Er steht für einen hohen Qualitätsanspruch, Nachhaltigkeit, Fairness und Verlässlichkeit. Seine Kernkompetenzen liegen in der Vernetzung der Branche und in der Zusammenarbeit mit der Politik. Der VSF entwickelt innovative Konzepte für den unternehmerischen Erfolg seiner Mitglieder und engagiert sich leidenschaftlich für einen wachsenden Radverkehrsanteil. Seine Mitglieder und Partner schätzen die intensive Zusammenarbeit und das starke Gemeinschaftsgefühl.
[1] + [2] Anzahl der Fahrräder in Deutschland von 2005 bis 2023, inkl. E-Bikes, statista